Tough Guy 2008
Der einzig ehrliche Bericht
Glänzende Augen bei einigen, fragende Gesichter bei anderen. Wer frank und frei erläutert, dass er demnächst beim Tough Guy startet, muss mit diesen beiden Reaktionen rechnen. Mittlerweile hat die Veranstaltung in der Nähe Wolverhamptons Kultstatus erreicht. Eine abgedroschene Vokabel, zugegeben. Aber wenn sich etwas mehr als 20 Jahre lang hält, im Gedächtnis bleibt, in den Köpfen spukt, Jahr für Jahr mehr Begeisterte anzieht und von allen Medien regelmäßig bedacht wird – dann ist das Kult.
So, bei den glänzenden Augen des Gesprächspartnern muss man gar nicht weiter erzählen. Er hat also schon davon gehört, er hat es gesehen, er hat sich seine Gedanken gemacht. Verklärt als ‘härtester Lauf der Welt’, werden die Tough Guys weniger als Sieger, sondern mehr als ‘Überlebende’ gesehen. Aspiranten die da hin wollen, haben bestenfalls den Status ‘todesmutig’, anderenfalls gehen sie als total beknackt durch – aber diese Wertung ist offensichtlich selten.
Beim fragenden Gesicht des Gegenübers wird es schwieriger. Laufen, Wasser, Schlamm, England, Januar und ähnliche Vokabeln helfen dann meist auf die Sprünge. Irgendwo auf einem der zahlreichen Privatsendern und in einem der noch zahlreicheren Boulevardmagazinen hat er das auch schon einmal gesehen; aber nie gedacht, mal so einen Hirni tatsächlich zu Gesicht zu bekommen.
Aber mit solchen Gedanken müssen sich eigentlich nur die Erstteilnehmer, die Newbies oder Rookies auseinandersetzen. Als Wiederholungstäter stehe ich über den Dingen und muss mich auch nicht mehr rechtfertigen. „Ich bin am Wochenende in England!“. Die Aussage genügt, meine Kollegen wissen Bescheid.
Bevor der Mythos (v)erklärt wird, ein paar harte Fakten: Man ist unter sich. Nein, es geht nicht um die mentale Konstitution, sondern um das soziale Umfeld. So ein Tough-Guy-Wochenende kommt mit Anmeldegebühr, Flug, Leihwagen, Hotel und Verköstigung, auch bei bescheidenen Ansprüchen, locker auf etwa 500€. Der alleinverdienende Familienvater kann damit eine Woche Campingurlaub locker bezahlen. Also trifft man in England hauptsächlich auf mittelalte, besserverdienende Singles oder Dinkies (double income – no kids). Andere Altersgruppen und soziale Schichten stellt dann lediglich das regionale Publikum. Und obwohl beim Tough Guy jede Menge bunter Nationalflaggen wehen, sind auch schnell die ethnischen Fragen geklärt. Wer nicht Engländer ist, taucht am Sonntagmorgen in blau-weißer Kriegsbemalung und Kilt auf (in diesem Fall keine Schalke-Fans, sondern nationalistisch gestimmte Schotten) oder hat irgendwie einen roten Drachen dabei (Waliser). Ein paar versprengte Iren (rote Perücke, aufgemalte Sommersprossen) sichtet man hie und da auch. Echte Ausländer gibt es auch – aber beim Abholen der Startnummern am Samstagmorgen ist Deutsch mehr oder weniger die Amtssprache (in selteneren Fällen mit österreichischem Einschlag). Franzosen, Tschechen, Spanier und andere Nationen sind eher als – liebevoll tolerierte – Randgruppen zu sehen. Am Ende sind wir alle – Briten. Und damit schließt sich der Kreis und der Tough Guy hat sich, ähnlich wie die ‘Last Night of the Proms’ von einer nationalen Eliteveranstaltung zu einem international geachteten, multikulturellem Megaevent unter britischer Leitung gemausert.
In vielen Dingen ist so ein Tough Guy Rennen auch nicht anders als jede große Volkssportveranstaltung. Am Samstagmorgen holen wir die Startnummern ab. Diesmal bringt uns das mitgebrachte Navi zielsicher durch den Linksverkehr nach Perton. Von Perton sieht man wenig. Der Veranstaltungsort liegt eher außerhalb; in einer Landschaft voller sanfter Hügel. Die Winter in England sind im Allgemeinen milder und damit auch weniger trostlos als bei uns in Mitteleuropa. Die Koppeln sind noch grün. Wir parken auf den bereits abgesperrten aber noch völlig leeren Parkplätzen und gehen in Richtung Farm.
Die Eingeweihten wissen es natürlich. Billy Wilson, der Veranstalter (aus nicht näher bekannten Gründen lässt er sich als Mr. Mouse titulieren) lebt auf einer großen Farm, die als Altersheim für Pferde und andere Tiere dient. In der westlichen Leistungsgesellschaft ist Altruismus meistens mit dauernder Geldmittelknappheit verbunden und so kam Mr. Mouse vor mehr als 20 Jahren auf die Idee, seine Gnadenbrotfarm durch eine Sportveranstaltung zu sponsern.
Bis dahin noch keine besondere Idee – hat er dann seine Leidenschaft (Ausdauersport) mit seinem ehemaligen Beruf (Armeeoffizier) verbunden. Anstatt die Leute in einen simplen Halbmarathon zu schicken, hat er ähnliche Hindernisse auf seiner Farm aufgebaut, wie er sie etliche Jahre auch bei der Armee für die Ausbildung der britischen Elitetruppen erdacht und aufgebaut hat. Und das war der Anfang von Mythos und Kult. Insofern tut die gepfefferte Anmeldegebühr von an die 100 GBP auch nur bedingt weh. Nach seinen eigenen Angaben wird etwa die Hälfte des Geldes für die Organisation der Veranstaltung genutzt, die andere Hälfte kommt der Farm und somit den alten und kranken Tieren zugute. Die, im übrigen, auch zum Teil von behinderten Menschen betreut werden.
Alte, kranke Pferde und alte, kranke Hunde riechen nicht gut. Auch alte und kranke Schafe riechen nicht gut. Die Tümpel auf dem Tough Guy Gelände sind mit einer braun-grünen, brackigen Brühe gefüllt und riechen auch nicht gut. Deshalb riecht es auf der Farm nicht gut. Besser, man gewöhnt sich schnell daran. Morgen riechen wir alle nicht mehr gut.
Im vergangenen Jahr haben wir die einzelnen Abschnitte des Tough Guy noch genau inspiziert. Unerfahren wie wir waren, vermeinten wir, noch die Strategie ändern zu müssen und noch ein paar taktische Finessen herauszuknobeln zu können. Mein Puls ist heute kaum bei 70 Schlägen pro Minute. Coolness kommt aber ganz von alleine, wenn man bedenkt, dass die Wassertemperatur kaum höher als 6°C sein dürfte. Immerhin haben wir Januar. Real ist die Wassertemperatur wohl gerade mal bei 4°C, der Trick ist aber einfach: langsam laufen. Wenn erst einmal 2.000 Läufer durchs Wasser durch sind, gehen die Temperatur leicht noch einmal 2-3°C rauf.
Aber auch hier sprechen die Fakten gegen den Mythos. Auf der Homepage des Tough Guy lässt sich nachlesen, dass letztmalig im Winter 1998 Eis auf den Tümpeln war und Raureif die Wiesen überzuckerte. Der Tough Guy Wahlspruch: ‘With snow and ice it’s twice as nice’ bleibt daher ein Wunsch. Für den Nachmittag haben wir uns das ‘Black Country Museum’ vorgenommen. Tough Guy ist morgen. Das Navi führt uns durch die offensichtlich schönsten Ecken des Black Country. Durch ganz enge Landstraßen tuckern wir an verstreuten Farnen vorbei. Der Himmel ist blau und die Landschaft strahlt im Licht der flach am Himmel stehenden Sonne. England ist selbst in diesem äußerst dicht besiedelten Landstrich wirklich schön.
Und jetzt mal schnell zum Schönsten am Tough Guy: Drei Abende in englischen Pubs. Kneipenkultur in England gibt es! In Deutschland ja eher weniger. Das Rauchverbot war hier weniger kompliziert durchzusetzen. Die Bierauswahl ist ungewohnt reichlich und das Essen – das ist jetzt schon trivial – bei weitem besser als der Ruf. Spätestens seit Jamie Oliver sind es nur noch die Deppen, die englische Küche mit einer stupiden Gleichförmigkeit kritisieren. Sicherlich ist ein Pub – zumal wenn es zu einer Kette gehört – kein Feinschmeckerlokal. Aber Bitter und Barfood haben ihren Charme. Im Übrigen kann man sich überall und jederzeit an indische oder chinesische Lokale halten. Die Zuwanderung aus Asien führt zu einem reichhaltigen Angebot an internationaler Restaurants.
Der Samstagabend wird dann auch nicht bis zum Exzess ausgeweitet, da ja am nächsten Morgen noch der Tough Guy überstanden sein will. Überstanden sein will! Ja wirklich! Mehr Anspruch habe ich nicht, oder mehr Ehrgeiz. Es gibt seit Beginn keine objektive Zeitnahme. Da die wenigen Wege, die sonst nur mit Traktoren befahrbar sind, bedingen, dass mehrere tausend Teilnehmer in zeitlich getrennten Pulks starten, ist ein echter Wettkampf sowieso nicht möglich (Huch, bei aller notwendigen Selbstkritik: Diese Satzkonstruktion erinnert entfernt an Kleist oder Kafka). Wer vorne dabeisein will, bezahlt bis an die 200 GBP Aufpreis (auf die eh schon hohe Startgebühr) und ist dann in der ‘Front Squad’. Alle anderen sind später. Und überholen ist schwierig, auch für die guten, durchtrainierten und ambitionierten Läufer.
Am Sonntagmorgen hat dann keiner Probleme, zeitig aufzustehen. Frühstück muss sein. Halt! Halt! Halt! Das war das Stichwort. Es gibt eine Herausforderung, die sprengt selbst die knallharten Prüfungen des Tough Guy: Britische Hotels. Meine Güte. Beim letzten Male war ich wenigstens so schlau und hatte ein Holiday Inn gewählt. Bei einer großen Kette kann man nicht soviel falsch machen, die haben ja internationale Standards. Aber diesmal musste ich anders buchen, da das Holiday Inn ausgebucht war und es lag sowieso etwas ungünstig. The Fox war deutlich zentrumsnäher und bezahlbar. Es stellte sich als völlig heruntergwirtschaftete Halbruine heraus, die wohl vor nicht allzu langer Zeit von einer indischen Familie übernommen worden ist. Die nette Familie hat sich dafür vermutlich völlig verschuldet, so dass für dringend notwendige Reparaturen kein Kapital mehr da war. Klasse. Meine Vorhänge waren nicht zu schließen; die Röllchen an der Vorhangleiste herausgerissen und verrostet. Dafür war ich dann in ‘The City that never sleeps’. Neu war für mich, dass es sich dabei um Wolverhampton handelte. Jedenfalls schien die ganze Nacht die Straßenbeleuchtung der Ring Road in mein Zimmer und tauchte alles in B-Movie-artiges schmutzig-orange-rosa Licht. Als ich in der Nacht aufwachte, habe ich es zunächst irrtümlich für die Dämmerung gehalten. Ein Blick auf die Uhr klärte mich auf. Ich fiel in das Bett zurück und dämmerte – wie die Außenbeleuchtung – dem Morgen entgegen.
Zurück zum Frühstück am Sonntagmorgen (unser zweites in der Nobelherberge): Handgewaschenes Geschirr mit diesem grauen Schwarzteefilm in den Tassen, den nur ökologisch-fanatische-Terror-Teegenießer akzeptieren (auf keinem Fall die Tassen waschen – nur ausspülen wegen des unverfälschten Teearomas…?). Toast und Full English Breakfast aus der indischen Exilküche. Da kann der Tough Guy ja kommen.
Heute Morgen ist der Verkehr in Perton dichter. Viele Autos sind schon zwei Stunden vor dem Start auf den Parkplätzen und wir suchen uns gleich unseren Platz zum Umziehen. Jetzt zum ersten Geständnis, es soll ja laut Ankündigung ein ehrlicher Bericht sein. Wir sind eigentlich gar keine richtigen Tough Guys. Wir sind nur so halbechte Tough Guys, eben so nicht ganz so richtig toughe Guys. Wir haben uns nämlich Neopren-Shorties gekauft. Gibt ’s im Decathlon für die Weichei-Surfer, denen im Früh- und Spätsommer das Nordseewasser zu kalt ist. Es sind die ganz dünnen Neoprenanzüge mit kurzen Armen und Beinen und die kosten kaum 20€. Damit wird der Tough Guy dann aber auch zur Spaßveranstaltung und verliert den religiösen Charakter einer Selbstkasteiung. Allerdings sind wir nicht alleine. Schätzungsweise die Hälfte aller Teilnehmer trägt das Neopren offen oder delikat versteckt unter weiter Laufkleidung. Spätestens seit meinem ersten Zieleinlauf vor einem Jahr weiß ich, dass die echten Tough Guys eher mitleidig belächelt werden, wenn sie den angeboten Tee verschütten oder kaum die Finger in den Hosenbund bekommen, um die nassen Klamotten loszuwerden. Parkinson ist eine kleine Erkältung im Verhätnis zu den Zitter- und Schüttelattacken, die neoprenlose Mitstreiter während des Rennens oder im Zielbereich erleiden.
Jetzt zu Lauf selbst: Ausländer zahlen etwas mehr, gehören dafür aber zur Startgruppe ‘Wisitors’ und sind damit beim Start fast ganz vorn. Lediglich die ‘Front Squad’ und die ‘Tough Guys’, die deutlich mehr gelöhnt haben, dürfen vor allen anderen starten. Zwischenzeitlich werden einige Zeitgenossen von Marshalls aus der Menschentraube gezogen und hügelaufwärts getrieben (!). Dort stehen ein paar Pranger bereit und da müssen diejenigen den Start erleiden, die gemogelt und vorgedrängelt haben. Die meisten wissen aber um das Risiko und erdulden die mittelalterliche Strafe demütig. Den Kanonenböller zum Start hatten wir gar nicht gehört. Auf einmal setzen sich einige hundert Menschen vor und einige tausend hinter uns in Bewegung, es geht um den Hügel und mit einem Schlachtgebrüll los, als würden die Normannen zum zweiten Mal ins angelsächsische Hastings einfallen. Die Tough Guys starten in die Country Miles.
Die Country Miles sind die eigentliche sportliche Herausforderung. Es geht mehrere Kilometer durch das Tal bei Perton. Dabei müssen Waldstücke durchquert, Gräben überwunden und Zäune oder Absperrungen um- oder überlaufen werden. Die Grafik mit der diesjährigen Strecke hatte uns bereits skeptisch gemacht. Die Strecke schien um etliches kürzer als im vergangenen Jahr und wichtige Hindernisse waren nicht mehr im Plan. Nach dem Lauf klärte sich auf, dass ein Nachbar (wie man hört aktives Gemeindemitglied der örtlichen Kirche), am Erfolg der Veranstaltung partizipieren wollte und für jeden gemeldeten Läufer 2 GBP verlangte, damit sein Gelände genutzt werden durfte. Wie sich dann noch später herausstellte, hatten am Vorabend oder frühmorgens noch einige Witzbolde das Flatterband für die Absperrungen der Laufstrecke umgeknotet, so dass nochmals ein bis zwei Meilen fehlten. Damit wurde diese Veranstaltung zum schnellsten Tough Guy aller Zeiten mit einer Siegerzeit von unter einer Stunde. Kurz waren die Country Miles bestimmt, anspruchsvoll war es dennoch. Ein Hügel diente als Hindernis, das etwas abwertend lediglich als ‘Slalom’ tituliert wird. Tatsächlich musste man sieben Mal den Hügel hoch und wieder herunter laufen. Es war steil, so steil dass man sich teilweise aufrecht stehend mit den Armen am Gelände abstützen konnte. Einige der engagierteren Kameraden haben sich dann auch gleich so gefordert, dass sie aus Überanstrengung ihr Frühstück erst einmal rückwärts in die Landschaft platzieren mussten. Beim Abwärtslaufen hat es den einen oder anderen erwischt, der sich im leichteren Fall eine satte Bänderdehnung, im schwereren Fall einen Bänderriss zugezogen hat. In jedem Fall stand eine ausreichend große Mannschaft der St. John’s Ambulance zur Verfügung, die sich professionell um alle Ausfälle kümmerte. Aber das war es schon fast mit den Country Miles. Es folgte ein Abstecher in kleines Wäldchen in denen mehrere gleichartige Hindernisse aufgebaut waren. Ein paar Strohballen, die überquert werden sollten und niedriggespannten Netzen, die man unterlaufen musste. Alles mit einer halbwegs sportlichen Grundkonstitution machbar. Der Neoprenshorty ist hier fast hinderlich. Wer deutlich unter 1,80 Körpergröße aufweist, braucht viel Sprungvermögen und hat (später) mehr Schwimmstrecken zu absolvieren. Bald folgen schon die ersten Wassergräben, die einen recht kontinuierlich auf das Kommende vorbereiten. Erstmal Wasser bis zum Knöchel und nasse Socken. Dann bis zum Knie, zur Hüfte und dann ist der Neoprenshorty echt klasse….
Und jetzt geht der Tough Guy richtig los; jetzt folgen die Killing Fields. Das ist der Teil der Veranstaltung, der den Mythos und den Kult ausmacht. Leider rührt das vermutlich daher, dass in den vergangenen Jahren die Veranstaltung wohl eher ein Opfer der Privatsender geworden ist. Sicherlich zelebriert auch Mr. Mouse den Mythos indem der die Hindernisse mit martialischen Namen belegt und verbal immer eine Verbindung zu Krieg und Militär geschaffen wird. Aber die Veranstaltung ausschließlich vor diesem Hintergrund zu sehen, ist eine unzulässige Simplifizierung und Fehldeutung. Das ist wohl eher dem Umstand zu verdanken, dass der englische Humor eben ein anderer Humor ist.
Es beginnt mit dem Tiger. Ein etwas 6 bis 8m hohes zweiteiliges Holzgerüst, das man überklettern muss. Wer Höhenangst hat, ist schlecht dran. Aber man kann sich festhalten und durch eine Verbreiterung, die im vergangenen Jahr hinzugefügt wurde, drängelt sich jetzt nicht alles an der Spitze und man kann Klettern, ohne Gefahr laufen zu müssen, einen Schuh ins Gesicht zu gekommen. Zwischen den beiden Gerüsten ist ein Abschnitt, der mit einer Art Elektrozaunvorhang versehen ist.
So wechseln sich zu überkletternde Gerüste und schlammige Tümpel ab. Ein Gerüst – sinnigerweise mit reichlich schwarz-rot-goldenen Flaggen verziert, nennt sich Brandenburg Gate. Einige Tümpel sind durch brennende Heuhaufen verbunden, die aber den völlig durchnässten Tough Guys nicht wirklich gefährlich werden. Zwei Höhepunkte gibt es, die vermutlich zum besonderen Nimbus des Rennens ganz besonders beigetragen haben:
Bei den Underwater Tunnels ist wirklich Schluss mit lustig. Hier ist eine Brücke über einen der tieferen Tümpel so angelegt, dass man zwingend mit dem Kopf unter Wasser muss. Bis hier hat der Neoprenaszug alles wirklich erträglich gemacht. Die Kälte an den ungeschützten Armen und Beinen ist akzeptabel, solange man sich bewegt. Aber das ungeschützte Gesicht mit den zahlreichen Gefäßen und Nervenbahnen lässt einen jetzt den Tough Guy spüren. Selbst die knappe Sekunde, die der Kopf unter Wasser taucht wenn man den ersten Balken unterquert, reicht aus, um einem die Luft zu nehmen. Viele brauchen lange Sekunden in der eiskalten Brühe, bis sie soweit zu sich gekommen sind, dass sie den zweiten und dann den dritten Balken tauchend bezwungen haben. Mir sind die Tränen gekommen. Mein Gesicht schien zu platzen. Es war einfach furchtbar. Erfreulicherweise setzt die Temperaturregelung der Warmblüter ein und kurze Zeit später kann man sich wieder in die Kette der Hindernisläufer einreihen. Nach dem Brandenburg Gate erwartet uns dann noch die Death Plank. Man springt vom 3m-Brett. Aber eben bei 11°C Außentemperatur in das 4°C ‘warme’ Schlammwasser. Wieder Wasser über den Kopf, aber nur ganz kurz und dann mit ein paar Schwimmzügen an Land. So, das war der Tough Guy. Der ist zwar noch nicht zuende. Aber wer die Underwater Tunnels und den Sprung überstanden hat, ist durch das Gröbste durch. Der Stalag Escape ist noch einmal eine echte körperliche Herausforderung. Man robbt wie in Wehrdienstzeiten unter dem niedrig gespannten Stacheldraht. Hintern runter (der Draht ist wirklich niedrig gespannt) und mit dem Bauch durch den Dreck. Die eine oder andere Klinke ist dann doch in der Hose oder im Shirt. Der Neoprenshorty schützt auch an diesem Hindernis vor größeren Blessuren. Aber es gibt auch Kameraden, die hier halbnackt hindurchkriechen. Das mag im einem oder anderen Fall blutig ausgehen.
Anaconda heißt eine Reihe von Betonröhren, die quer im Weg liegen. Diesmal nicht hindurch, sondern drüber, muss man. Im letzten Jahr war ich nach weit über drei Stunden hier fast am Ende. Diesmal geht es leichter. Meine Technik ist wenig attraktiv, dafür recht effektiv. Mit einem kleinen Hopser bäuchlings auf die Röhre und dann irgendwie mit den Beinen drüber. Und jetzt kann ich mich auch für die vielen hilfreichen Hände revanchieren, die mir in den vergangenen zwei Stunden hier und da aus dem Schlamm geholfen haben. Ein kleine Truppe Briten hat Not, ihren dritten Mann über die Röhren zu bekommen. Er ist kaum noch in der Lage, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich fasse mit an, und nach ein paar Minuten haben wir ihn gemeinsam über die vielen Röhren getragen. So ist der Geist des Tough Guy Race. Am Ende kommen noch die Viagara Falls; ein aus alten Gummiförderbändern zusammengeschusterte Wasserrutsche. Die Jugendfeuerwehr hilft mit einer großen Spritze nach und es geht 10m tief in die Brühe. Das war es dann aber wirklich. Hinter dem letzten Hügel, denn man mit Hilfe von ein paar Nylonseilen überwindet, ist der Zieleinlauf.
Einen Glückwunsch mit Händedruck gibt es für jeden und sogar diesmal eine Medaille. Bei meinem ersten Tough Guy hatte sich Mr. Mouse wohl mit der prognostizierten Zahl der Finisher vertan und für die späten Finisher gab es die Medaille erst einige Wochen später per Post. Aber diesmal passt alles. Mit der Medaille um den Hals finde ich mich im Regenarationsstall ein, wo die Tealadies Tee, Kakao oder so etwas ausschenken. Alle bekommen auch eine silberne Wärmedecke. Was das soll, bleibt mir allerdings schleierhaft. Hat man sich wohl bei irgendwelchen Marathons abgeguckt. Hier sind alle Läufer eh schon unterkühlt und haben auch noch völlig durchnässte und durchweichte Kleidung an. Die muss ja erst einmal vom Körper aufgewärmt werden, bis die Decke wirkt – sieht ziemlich nach Placeboeffekt aus.
Jetzt kommt das schönste am Tough Guy. Duschen, zusammen mit den Mädels. Ja, es gibt nur einen großen Duschraum. Mit Tröpfelduschköpfen, aus denen kaltes Wasser rieselt. Die meisten Engländerinnen zeigen sich allerdings recht prüde uns lassen beim Duschen Höschen und BH am Körper. Obwohl die Unterwäsche ja auch ziemlich durchseucht mit Schafkot und Pferdepipi ist. Das sieht dann eher komisch als erotisch aus, wenn ein kalkweißes, bibberndes Mädchen in einem ockerfarbenen Slip (ursprünglich vermutlich aprilfrisch, sonnensauber und blütenweiß) und irgendwie schlaff sitzenden BH eine Katzenwäsche unter einer kalten Dusche vornimmt. Falls sich jetzt jemand warme Gedanken macht, dann eher zu warmen Decken, warmen Getränken, warmer Kleidung und warmen Fahrzeug. Ich staune jedenfalls nicht schlecht, als sich statt des erwarteten weißen Schaumes des Duschgels ein schmutziggrauer Film vom Kopf waschen lässt. Es dauert eine ganze Weile, bis sich ein Zustand gefühlter relativer Sauberkeit einstellt, damit ich guten Gewissens ein paar frische Sachen anziehen kann. Die zweite (notwendige) Dusche erfolgt später im Hotel mit warmen Wasser. Gut, dass mich dabei niemand von der Wirtschaftsförderung des ‘Black Country’ gesehen hat. Bei dem, was sich da so alles aus diversen Körperöffnungen und Hautfalten in den Abguss ergießt, hätte man vermutlich rasch die Entscheidung getroffen, die vor über dreißig Jahren gestoppte Kohleförderung rund um Birmingham wieder aufzunehmen.
Weder ist der Tough Guy die ultimative Veranstaltung für potenzielle Selbstmörder. Noch ist sie die Tummelwiese für Verrückte. Ein bisschen infantil ist das aber schon. Als Kind gab es Zunder, wenn man mit aufgeschrammten Knien, zerissener Hose und durchgeweichten Klamotten nach Hause kam. Heute – als Erwachsener zahlt man dafür, dass man sich im Dreck tummeln darf. Wer fünf Kilometer am Stück laufen und zur Not noch auf eine Leiter steigen kann, ist normalerweise fit genug für den Tough Guy. Aber viele nehmen das ganze viel ernster. Leute mit Höhenangst klettern auf den Tiger und ich habe ein Mädchen gesehen, dass offensichtlich nicht schwimmen konnte und von Helfern durch den Dragon Pool getragen wurde. Warum tun die das bloß?
Kann ich nicht beantworten. Demnächst fülle ich die Anmeldung für 2009 aus. Reicht das als Erklärung?

Naja, eigentlich gibt es ja noch einen viel schöneren und noch erlicheren und viel neueren Bericht.....
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